Das ganze Leben ist ein Quiz

Nach allem bisher Gesagten bist du wahrscheinlich schon vorsichtig geworden. Vielleicht hast du sogar, gemäß den Worten Jesu, den Blick auf deine eigene Unzuverlässigkeit gerichtet. Wenn es dir allerdings so geht wie den meisten Menschen, dann hattest du unmittelbar eine Meinung. Obwohl wir nur Vorname, Aussehen und Aufenthaltsort kennen, haben wir uns aus diesen Puzzlestücken ein umfassendes Bild der beiden Personen konstruiert. Wenn man uns drei Fragmente eines 1000-Teile-Puzzles gegeben und uns gebeten hätte, das Motiv zu beschreiben, hätten wir wahrscheinlich nur gelacht. Doch im Alltag ziehen wir ständig umfassende Schlüsse auf Basis weniger Informationen. Wir urteilen vorschnell – und stecken Menschen, Dinge und Umstände ganz bequem in Schubladen.

Solches Schubladendenken führt dazu, dass wir Dinge übersehen – wie den Balken im eigenen Auge. Denn Pippi könnte in Wirklichkeit eine krasse Maschine sein, die ihr Jurastudium mit Einser-Schnitt durchzieht und nebenbei für eine NGO Anklageschriften gegen die griechische Regierung wegen deren Flüchtlingspolitik formuliert. Marie könnte eine freundliche, aber total verpeilte Person sein. Nachdem sie nach der zehnten Klasse das Gymnasium abgebrochen hat, ist sie jetzt kurz davor, ihren Ausbildungsplatz als Rechtsanwaltsfachangestellte zu verlieren, weil sie zum zweiten Mal eine Berufungsschrift zu spät an das Gericht geschickt hat. Die wenigen Puzzlestücke, die wir haben, können zu ganz unterschiedlichen Bildern gehören.

Wahrnehung als Puzzle

 

Wir sind uns unserer Urteile oft viel zu sicher. So glauben zum Beispiel 90 Prozent der Autofahrer, sie würden besser durch den Verkehr navigieren als der Durchschnitt. Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman erklärt: Stehen wir vor einer extrem komplexen Fragestellung (z. B.: Wie misst man fahrerisches Können? Welches Ergebnis erzielt die Mehrheit der Menschen in solch einer Messung? Welches Ergebnis erziele ich?), müssten wir eigentlich kapitulieren. Unser Gehirn wechselt jedoch zu einer wesentlich einfacheren Frage (z. B.: Finde ich, dass ich ein guter Fahrer bin?) und verwendet die Antwort darauf als Beantwortung der komplexen Fragestellung. (Daniel Kahneman, Thinking, Fast and Slow, S. 258)

Wir haben eigentlich keine Ahnung, ob wir besser oder schlechter fahren als andere. Genauso wie wir keine Ahnung haben, ob Pippi zuverlässiger ist als Marie. Wir haben ein paar Informationen und bilden uns auf dieser Basis ein Urteil. Das ist im Alltag oft unerlässlich, um lebens- und funktionsfähig zu bleiben. Schließlich haben wir nicht immer Zeit für eine umfassende Analyse und müssen manchmal einfach blitzschnell reagieren. Aber wir sollten uns dessen bewusst sein und mit Vorsicht und Offenheit agieren. Es könnte nämlich immer sein, dass wir einen großen Balken im eigenen Auge übersehen.

Damit hat uns die Metapher von Jesus zu einer sehr grundlegenden Einsicht geführt. Paulus, der große christliche Theologe des ersten Jahrhunderts, drückt es so aus:

Denn unser Erkennen ist Stückwerk.

1. Korinther 13,9 · GNB

Hast du dich schon einmal in einer Meinung, Person oder Situation getäuscht, weil dir zu wenige Informationen zur Verfügung standen? Was hast du für dich daraus gelernt?