Das damalige Jerusalem

Das moderne Jerusalem

Der Blick auf den von König Herodes errichteten Tempel war atemberaubend. Dies war die heiligste Stätte des Judentums.

Zu Lebzeiten des Saulus gab es innerhalb des Judentums vier große „Parteien“:

  1. Die reichen, aristokratischen Sadduzäer besaßen die Macht im Tempel.
  2. Die hellenistischen Herodianer vermischten ihren jüdischen Glauben mit der griechischen Kultur.
  3. Die übergewissenhaften Pharisäer versuchten jedes Detail des mosaischen Gesetzes zu beachten.
  4. Die Essener zogen sich aus der Gesellschaft zurück und lebten als Kommune in der Wüste.

Nach Apostelgeschichte 22,3 wurde Saulus von Gamaliel ausgebildet, dem Enkel von Hillel, dem berühmtesten Rabbi jener Zeit. Die Pharisäer glaubten fest an die heiligen Schriften und warteten auf die Auferstehung der Toten.

Zur Gebetszeit legte Saulus die liturgischen Gewänder an: den Tallit (Gebetsschal) und die Tefillin (Lederriemen an Arm und Stirn, in denen eine Kopie des Gesetzes steckte).

In Galater 1,14 wird beschrieben, dass Saulus sehr eifrig darin war, die Traditionen der Vorväter zu bewahren. Während sein Lehrer Gamaliel sich nicht direkt gegen die Lehren des Nazareners Jesus aussprach (Apostelgeschichte 5,34-39), spürte Saulus die Gefahr, die von diesem Reformer für die Grundfesten des Glaubens der Vorväter ausging.

Er wurde von den Hohenpriestern, die hauptsächlich Sadduzäer waren, bevollmächtigt, die Nachfolger des Nazareners aufzuspüren und anzuklagen. Im Galaterbrief schreibt er:

Denn ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum, wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu zerstören suchte.

Galater 1,13 · LUT

Trotzdem wuchs die Zahl der Nachfolger Jesu damals buchstäblich von Tag zu Tag. Sogar eine ganze Gruppe Priester wurden seine Jünger (Apostelgeschichte 6,7). Ein griechischsprachiger Jude namens Stephanus vollbrachte viele Wunder im Volk. Als dies einen Tumult auslöste und niemand sein Zeugnis widerlegen konnte, wurde er vor den Sanhedrin gebracht. Er wurde zum Tode verurteilt und so der erste Märtyrer, von dem die Bibel berichtet. Von seiner Gerichtsverhandlung aus wurde er durch das „Löwentor“, das heute als „Stephanstor“ bekannt ist, ins Kidron-Tal geschleift und dort gesteinigt. Noch während er starb, bat Stephanus Gott darum, denjenigen zu vergeben, die ihn hinrichteten. Unmittelbar vor seinem Tod sah er den „Menschensohn“ (siehe unten) an der rechten Seite Gottes stehen.

In Apostelgeschichte 8,1-3 lesen wir, dass Saulus bei der Hinrichtung des Stephanus anwesend war. Im Anschluss daran brach eine Welle der Verfolgung los. Nachdem Jerusalem „gesäubert“ war, wurde Saulus nach Damaskus geschickt, um auch dort die Christen zu verfolgen. Gemeinsam mit einer Kompanie der Tempelpolizei machte er sich auf den etwa 250 Kilometer langen Weg.

Der Pharisäer Saulus, der „Abgesonderte“, reiste die Strecke, für die man etwa eine Woche brauchte, im Prinzip für sich allein. Es gab jede Menge Zeit zum Nachdenken. Während er lief, muss er an Stephanus gedacht haben. Wieso war sein Antlitz so erleuchtet, als er hingerichtet wurde? Warum bat er Gott um Vergebung für die, die ihn steinigten? Im Innern des Saulus nagte die Frage: „Was, wenn Stephanus recht hatte? Was, wenn Jesus doch der Messias war?“ Saulus sollte sehr bald eine Antwort auf diese Fragen bekommen. Dies wird im nächsten Thema behandelt werden.